Berlin-intern: Bundesfinanzministerium

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Dieser Text entstand im Rahmen einer Recherche der Arbeitsgemeinschaft Minimales Reisen. Mehrere Mitschreibende haben jeweils an einem ausgewählten Ort des alltäglichen Lebens zwanzig Minuten lang das umliegende Geschehen protokolliert – und das, was ihnen dabei durch den Kopf ging. Im Anschluss an die Schreibphase wurden die einzelnen Protokolle minutenweise ineinander gefügt, so dass chronologisch durchgehende, mehrstimmige Texte entstanden. Diese wurden dann sortiert, verlesen, übersetzt und gedruckt. An dem offenen Format nehmen anonyme Schreiber:innen mit und ohne künstlerische Hintergründe teil. Die AG Minimales Reisen lädt jede:n zur Teilnahme ein und dankt allen Mitschreibenden und der kunsthallebelow.de. Das fertige Produkt kann in einer der Editionen unter der Bezeichnung A4_649-07032415401600 Bundesfinanzministerium erworben werden.

Berlin-intern: Bundesfinanzministerium

15:40 Wir sitzen im Schatten vor dem Bundesministerium für Finanzen, BFM. Dahinter, hinter diesem Riesenblock, ist die Sonne. Ich schaue noch nicht hoch, in den „Raum“, bin noch am Sortieren und mit Gedanken beschäftigt. Neben uns halten eine Mutter mit Kind auf einem Roller an, die Mutter sagte zu dem Kind „Wenn du den jetzt hier parkst, wo gehst du dann damit hin?“ Es war nicht klar verständlich, aber sie gab sich Mühe, ihr Kind zu unterhalten. Tut tut, dann rollert das Kind vorbei. Matheo, ruft sie. Er sagt: NEIN, Er ist bestimmt erst 3, so stell ich mir Ludwig vor, für den ich ja noch ein Geschenk kaufen möchte.

1542 Viel Verkehr hier, ich lenke mal meine Aufmerksamkeit auf die Straße, weg von der Mutter mit dem Kind. Der Zebrastreifen vor uns führt direkt ins BFM. Schon wieder höre ich doch den kleinen Jungen mit einem deutlichen „Nein“.

15:43 Die Worte von G. am Telefon, hallen in mir noch nach: „Geld kommt, weil ich bin und nicht, weil ich was tue“. Das paßt ja genau zum Finanzministerium. Zwei Frauen und ein unförmig, dicklicher junger Mann, laufen zügig über den Zebrastreifen in unsere Richtung. Ich denke, das sieht hier überhaupt nicht nach Geld aus. Der Nazibau läßt nichts Fröhliches erahnen, hier war dann auch ein DDR Gebäude drin. Ich weiß nicht, für was. Majestätisch ist es allemal. Detlev-Rohwedder-Haus – muss ich mal nachschauen, was es damit auf sich hat. Ob der Herr Lindner wohl hinter den Gardinen Platz nimmt? Hinter den 10 schmalen riesig hohen Fenstern? Hier scheint ein Eingang zu sein, jetzt eine Baustelle mit Containern, alles andere als einladend.

15:45 Ein BSR (Berliner Stadtreinigung) Staubsaugerwagen schnurrt vorbei. Auf dem Fahrzeug steht PONY, ich denke an Pony. Meine Nase läuft, ist so kalt hier und kein Taschentuch.

15:48 Neben uns ein Kamerateam, bestehend aus zwei jungen Männern, sie halten die Kamera in Richtung Leipziger Str. Bin neugierig, würde gerne wissen, was sie hier filmen wollen.

15:49 Ich bin überrascht, dass hier so viel los ist, hätte ich nicht erwartet. Viel Autoverkehr und auch viele Fußgänger, so ein unwirtlicher Ort.

15:50 Ich war auch schon an der Ecke und habe den Eingang gesucht, da gab es einen Personaleingang. Ein Pärchen, die hineingingen, sagten, sie seien auch nur Besuch. Ich fragte sie, ob ich mal einen Blick riskieren dürfte. Ja, hab ich gemacht, hab Luft geschnuppert. Ob es hier wohl nach Geld riecht? Wir riecht eigentlich Geld? Ich dachte, eine öffentlich zugängliche Cafeteria wäre nice.

15:51 7 Fahnenmasten hier vor dem Eingang. Eine mit Europa-, eine mit Deutschlandflagge. Ich traue dem Finanzminister gar nicht zu, so einen Riesenkasten mitsamt aller Mitarbeiter führen zu können. Könnte auch ein riesiger Safe sein. Ja, safe ist es hier bestimmt auch.

15:52 Auf dem Dach weht auch eine Deutschlandflagge, in die entgegengesetzte Richtung.

15:53 Ob die Leute da drinnen wohl merken, dass sie für Geld und Steuern zuständig sind? Womit sind sie wohl identifiziert? – sicher mehr mit dem Geld auf ihrem eigenen Konto, als mit dem Geld, das hier gebunkert ist.

15:54 Ich denke mehr, als ich wahrnehme. Sehe Leute hier draußen entlanglaufen, höre die Autos, ein Passant grüßt uns freundlich mit „hallo“, fühle kalt, riechen und schmecken sind außen vor.

15:55 Die Fensterfront könnte gut eine Filmkulisse bilden. Davor überall Gitterstäbe. Transparenz geht anders. Auf der anderen Seite konnte ich in den Hof schauen, da war es lichter und viele Autos drin, den Porsche von CL habe ich nicht gesehen.

15:57 Steuergelder, … Geld, das steuert, … Geld, das mühsam verdient wurde, vielleicht Blutgeld, … Geld, das üblicherweise nicht gerne gezahlt wird.

15:58  K. arbeitet in der Betrugsbekämpfung in einer Finanzbehörde, manchmal war sie auch hier und C. arbeitet als Rechtsanwalt in diesem Kasten. Er spricht über die gleichen Themen wie die Menschen in allen anderen Unternehmen oder Institutionen, überall das gleiche Spiel.
März 2024

Idee / Anregung
In Berlin gibt es ja bekanntermaßen viele Bundesministerien. Schau dich doch mal um, wie du sie erlebst. Es gibt immer auch die Möglichkeit zum Besuch einzelner Ministerien. Das lohnt sich. Und … setz Dich auf die Bank gegenüber vom Finanzministerium und lass den Anblick auf Dich wirken. Was erfährst Du?
Erkennst Du einen Unterschied zu den Berliner Behörden?