Berlin-Protokoll: Ringbahn

Dieser Text ist im Rahmen der Parallelprotokolle der Arbeitsgemeinschaft Minimales Reisen (Kunsthalle Below) entstanden.

11.18 Wir starten in „Gesundbrunnen“, fahren oben rum, gen Osten. Nächste Station: „Schönhauser Allee, Übergang zu den Linien 8 /85 …“ kann gar nicht alles verstehen, Ausstieg links – klingt über die Lautsprecher. „Dear passengers, … mehr verstehe ich nicht, bin fasziniert von dem super englisch und der tollen Frauenstimme in der Ansage, exit to the left – ob man bei dieser Ansagerin mal einen englisch Kurs buchen könnte? 

11:19 Ich sehe gar nix, bin nur am Tippen, gegenüber sitzt eine Frau, mit der ich einen freundlichen Blick getauscht habe, das ist angenehm, tut gut. Sie steigt schon aus.

11:20 Hab jetzt zwei leere Sitze im Blick und schwups, kommt eine ältere Frau – sie kündigt sich an, mit einem energischen “darf ich mal bitten „, drängelt sie sich zielsicher auf einen der freien Plätze uns gegenüber, sie sitzt da, wo eben die andere Frau ausgestiegen ist.

11:22 „Exit to the left“, die Anzeige im Display zeigt Prenzlauer Allee. Alle schauen auf ihre Handys, keiner kriegt mit, dass wir hier eine besondere Situation haben, zu viert, nebeneinander, rückwärts, eine steht hinter uns, zwischen den beiden Bänken. Greifswalder Str. /  Ding Dong / Ausstieg links, exit to the left. Alles geht so schnell. Die Stationen fließen vorüber, normalerweise dauert die Fahrt mit der Ringbahn immer viel länger.

11:24 Ach, ist das schön hier, – viel kälter als in der Bahn, mit der ich eben gekommen war. Die grimmig drein schauende Frau, die ich um den Platz neben ihr angefragt habe, steigt aus. Piep-piep-piep , das typische Piepen der S- Bahn. Und  wieder drängt sich eine Frau vorbei – es ist ruhiger geworden, viele Leute sind ausgestiegen. Ansage: <Ausstieg links, Landsberger Allee, exit to the left.>

11:25 Ich schaue hoch, auf die Anzeige im Display: S41 über Ostkreuz. Würde gerne wissen, wer sich diese Nummerierung ausgedacht hat hat, ich finde sie völlig fehl am Platz, denn sie sagt mir nix. Besser sind die Pfeile, rechts oder links rum, über West- oder Ostkreuz, oder eben oben oder unten rum. Links ein Schild vom Velodrom. Ach, hier sind wir! Hab schöne Erinnerungen daran, an die monumentale Schwimmhalle mit dem hohen Sprungturm.

11:26 Und schon geht’s wieder weiter. Ich spüre die Kraft des Antriebs, sie zieht mich sanft nach hinten, wir fahren rückwärts. Ich denke, wo wir wohl lesen werden? Könnten wir bei mir machen, würde mich freuen.

11.27 Eine Schreibnachbarin kichert neben uns. Sieht alles so anders aus, rückwärts. Hier kenne ich mich nicht aus, im Osten. Ich finde mich gar nicht verortet. Nächste Station Frankfurter Allee, die Station kenne ich jetzt. Es drängeln sich immer Leute an uns vorbei, die dann froh sind, wenn sie einen Platz ergattert haben. Einer sieht aus wie ein Eskimo, orange myzze, türkis und grüne Eskimo Jacke oben drüber, ist ja auch kalt.

11:29 Ostkreuz , Übergang zur S 3 / 5 / 75, von hier kann ich direkt mit „ab durch die Mitte“ nach Hause fahren. „Thai oxen“ sehe ich an einer Häuserwand. Geht alles so schnell. Mein Kopf bewegt sich hektisch hin und her, will alles erfassen . Ostkreuz – ich denke an A. und S., Bahnhofstraße und Sonntagsstr., als alles noch alt war, vor dem Umbau.

11:32 Entschuldigung- und wieder drängelt sich ein Reisender durch, setzt sich uns gegenüber. <Zum Flughafen BER bitte hier umsteigen, pls change here for BER airport. Exit to the left. >

11:33 Diese neuen S-Bahnen sind so wunderbar, ganz neu, ganz sauber, Fußboden, Sitze, blau auf blau, dezent kariert . „Emily & Noah“ lese ich als Prägung auf der Tasche meiner gegenüber Fahrerin, eine ältere Dame (bin ich ja mittlerweile selber,haha). Weiß gar nicht mehr, wo sie eingestiegen ist.

11:34  Der Eskimo Mann hat den Platz  gewechselt, er sitzt jetzt allein . Die ältere  Frau von gegenüber  steigt jetzt aus, Sonnenallee, der Mann rückt auf . Bin ganz verwundert, wie eng mein Radius ist, beim Schreiben. Kann kaum mehr sehen als das unmittelbare Gegenüber. 

11:35 Meine Nachbarin tippt auf einem 9er Feld japanische Schriftzeichen, das muss ich nochmal genauer anschauen, sehr faszinierend, das das Handy sogar asiatisch kann. 

11:36 Eine Frau hält sich ihren Schal vors Gesicht, sie sieht krank aus. Eine dunkelhäutige  Frau setzt sich uns gegenüber, sie spricht in einer Sprache, die ich nicht verstehen kann, in ihr Handy. Mich faszinieren ihre Haare. Geflochten am Ansatz und in den Spitzen Korkenzieher Locken, die sich wie ein Nest auf den geflochtenen Ansatz legen. Sie trägt so schöne Herz Stecker im Ohr.

11:37 Es riecht gut, so nach Essen. Ein Gast hat Essengeruch mit herein gebracht, sonst rieche ich eigentlich gar nichts. „Hostel – my Home“ sehe ich, als mein Blick mal kurz aus dem Fenster schweift. Berlin Neukölln. Ist schön, diese vielen unterschiedlichen Leute in diesem Setting, fühlt sich gut an. 
November 2023

Idee / Anregung:
Die Ringbahn ist für mich noch immer ein großes Wunder, konnte man doch viele lange Jahre in dem Mauerberlin nicht drum herum fahren. Setz Dich mal rein und genieße die unterschiedlichen Stationen, vielleicht unterbrichst Du auch mal und schaust Dir mal die Stationen an. Das Ostkreuz ist völlig neu entstanden, im Westen eher nichts Neues, Südkreuz ist super modern und Gesundbrunnen, im Norden, auch … eine gute Mischung aus alt und neu. Lass einfach mal die Bilder an dir vorüber ziehen und versuche, Dich zu entspannen, durch zu atmen. Lass Dich nicht anstecken, von der Hektik und dem Getriebensein der Mitfahrenden. Wir freuen uns, wenn du Deine Entdeckungen in die Kommentare schreibst. Vielen Dank dafür.

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