13:09
Oh je, so schnell kann ich jetzt doch gar nicht umschalten, von der Galerie mit den unausgesprochenen Worten zu ollen Stühlen. Dafür bin ich jetzt eigtl gar nicht gerne in diesen schönen Kiez gefahren, die gäbe es sicherlich woanders auch. Gegenüber ist der Friedhofspark P-Allee.
13:10
Ja, vor uns sind olle Stühle, einer sieht aus, wie eine Art Clubsessel mit einem verschossenen, verblassten an orange anmutenden Überzug. Vielleicht ist er sogar ganz abgezogen, an einer Ecke ist ein Schnitt und man sieht den Schaumstoff in dem aufgerissenen Polster. Dieser Clubsessel hat sich in einen blauen Plastikstuhl gelegt. Einträchtig liegen die beiden ineinander, in einer Baustelle. Ein Bauarbeiter fragt uns, ob wir keen Büro haben? Er deckt mit einem Kollegen einen dicken, frischen, hellen Holzbalken in Plastikfolie ein.
13:12
Hinter uns laufen Fußgänger, Café Zuzette auf der anderen Straßenseite. Die Tram rattert vorbei.
13:13
Das Gestell von dem Clubsessel sieht gut aus, total stabil. Ach, daneben noch ein schwarzer Küchenstuhl aus dunklem Holz, der liegt mit der Lehne auf dem Boden, die Füße in die Luft. Ob die Bauarbeiter ihn wohl stehen lassen? Ja, tun sie. Der Stuhl sieht gut aus, bis eben diente er noch als Ablage für zwei Holzlatten. Die räumen hier die Baustelle auf, wahrscheinlich, weil Wochenende ist.
13:14
Ich denke nochmal an die unausgesprochenen Worte und frage mich, ob diese Stühle hier auch was zusagen hätten Innerlich warte ich darauf, dass sie mir zuflüstern. Was diese Stühle hier wohl zu flüstern haben?
13:15
Das Gestell könnte man noch anbieten bei „Sharing is Caring“, den schwarzen Holzstuhl auch, der sieht richtig gut aus. Und den Clubsessel würde man sicher auch wieder herrichten können, wenn man es denn kann. Bin fasziniert von dem stabilen Gestell.
13:16
Die Künstlerin in der Galerie war mir sehr sympathisch, ich wäre auch gerne dort geblieben, wollte lauschen, ob ich Worte hören kann, ob sie mir zuflüstern, ihre Geheimnisse? Wollte auch gerne meine rebellischen Worte da lassen, aber welche wären es? Na, Stessermecher dürfte ich nicht sagen, blimmelhau dürfte ich sagen, links rechts – was soll man sagen?
13:18
Oder APD oder Frau W., Herr M., Herr S., Herr H., darf man sagen oder nicht, ich bin unsicher … wer entscheidet eigentlich, was Wörter sind, die man besser nicht ausspricht? Die Welt, die Gesellschaft? Gibt es dafür ein Ministerium oder ein Büro? Ja, das Büro für unausgesprochene Worte.
13:19
Zwischen den Stühlen liegt Plastikmüll und eine kleine Flasche Wodka, ach, da hinten noch eine. Auf dem Schildständer liegt, silbern glänzend, ein Haufen dicker Schrauben.
13:20
Die Stühle halten den Raum, sie scheren sich um nichts, als sei ihnen alles egal. Die machen es gut, man würde vielleicht sagen dürfen, sie seien resilient / (der Computer verbessert in resistent).
13:21
Da hinten bellt ein Hund und ich sehe die Hochbahn in der Ferne, die werde ich nehmen. Boah, ist das ein schöner Kiez, ich kenne mich hier überhaupt nicht aus. Sitze in der Mitte der Schreiberinnen auf einem Stuhl. Die Sonne scheint uns ins Gesicht, meine Füße stehen nur mit den Spitzen auf, die Hacken hängen in der Luft.
13:22
Die Leute hinter scheinen verwundert, dass wir hier sitzen, der Hund kläfft eifrig auf der anderen Straßenseite.
13:23
Der Hund, – ich denke, er ist klein, bestimmt so ein kleiner Wadenbeißer wie Jupp, die bellen laut. Die Bauarbeiter schließen den Zaun mit Getöse, ich überlegte gerade, wie wohl dieser Zaun heißt, naja, eben ein Bauzaun.
13:24
Manno mann, diese vielen unausgesprochenen Worte, die ich in mir trage. Sie fragte mich kürzlich nach einem Geheimnis, da dachte ich, ich hätte gar keine Geheimnisse, aber bei genauem Betrachten dann eben doch.
13:25
Hier findet Leben statt, als seien die Stühle der Raum, in dem Leben stattfindet, dabei liegen sie nur so da, einfach hingeworfen. Als ich olle Stühle hörte dachte ich an L., sie wird heute 88 und ist alles andere als oll. Nur der blaue Plastikstuhl ist oll, weil kaputt. Den Clubsessel möchte ich natürlich auch nicht haben, aber ich denke, so Künstler aus x-berg könnten ihn für sich herrichten, ich könnte ihn mir gut in einem Atelier vorstellen, im Wedding, x-berg oder F-hain,
13:27
Ich schaue mich um, nach rechts, nach links, freue mich über die schöne, besondere Handschrift von der Mitschreiberin zur Rechten, sehr mega besonders. Wir kann man nur so imaginär, so bildhaft schreiben?
13:29
Es tutet laut, ganz kurz, es könnte ein Ruf zur Mittagspause sein. Die Baustelle hier vor uns liegt jetzt brach, müssen die ollen Stühle noch aushalten, ehe sie abgeholt und wahrscheinlich entsorgt werden.
13:30
Ich gehe gleich zu M. in die Praxis, zum Assistieren, wieder ein anderes Kapitel.
Sabine Harbort