Seit der Erfindung der Parallelprotokolle schreibe ich immer mal wieder an unterschiedlichen Orten in Berlin meine Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle. Der folgende Text ist mein Teil eines Parallelprotokolls, das wie folgt bestellt werden kann. Wenn Du auch mitschreiben möchtest, melde Dich hier an.
29102024_PP_Taubenschwarm
13:32
Endlich! Es geht los. Schon so lange, seit wir auf den Taubenschwarm gewartet haben und hier ist er nun. Also, so langsam finden sich die Tauben hier vor uns ein. Sie sitzen vor uns, watscheln so herum, auf der Suche nach Essen. Sie sitzen auf der Litfaßsäule und vor allem aber auf den Gehängen der Lampen, da gefallen sie mir am Besten.
13:33
Ein kleines Mädchen kommt vorbei gelaufen und erfreut sich an den Vögeln. Die Eltern sagen, das sind Tauben und schon sagt sie, oh, so viele Tauben.
13:34
Hinter uns bahnt sich einer den Weg, vor uns zwei Reisende mit schwerem Gepäck. Das Nebeneinander der Vögel, hier: Tauben, der Kulturen, der Menschen. Neben uns auf der Bank sprechen die Menschen eine Sprache, die ich nicht verstehe. Eine ältere, wohl türkische Frau, schiebt mit ihrem Rollator direkt an uns vorbei.
13:35
Der Tauberschwarm erhebt sich in die Luft, von hinten fliegt er über uns hinweg, mit lautem Flügelschlagen. Welch eine mächtige Kraft, in dem Schwarm! Dieses Zusammenraufen aller einzelnen Tauben zu einem Schwarm erzeugt eine großes Feld, das ist sehr außergewöhnlich. Hier, wo wir sitzen, sind sie alle weg, bis auf eine, die noch am Boden sitzt. Ein paar andere kommen wieder dazu geflogen.
13:36
Ein kleiner Junge, an der Hand seines Vaters oder Großvaters, hat Spaß daran, die Tauben, zu jagen. Jetzt gerade jagt er nicht. Ein Mann zertritt offenbar sein Feuerzeug, es knallt ziemlich laut. Die Tauben sitzen hinter uns. Ich verstehe nichts von ihrem Verhalten oder Gebahren.
13:39
Die Menschen laufen so dicht an uns vorbei, obwohl genügend Platz vorhanden ist. Die Mutter läuft vorne weg, der Junge und seine Schwester hinterher.
13:40
Das Gegurre der Tauben wird lauter, was sie sich wohl zu sagen haben? Ob die grünlich irrisierenden Taubenhälse anzeigen, dass es Männer sind. Ein Mann kommt vorbei, ob ich ihm mit 80 Cent weiterhelfen könne. Ich sage nein, er geht weiter. Er sieht nicht verwahrlost aus, einfach ein Mann, wie Du und ich. Die türkische, ältere Frau mit dem Rollator gibt ihm Geld.
13:41
Welch ein unwirtlicher Platz, ein Kommen und Gehen, Wenn die Tauben Menschen wäen, wären sie immer noch in der Überzahl. Sie sind zahm, ich verstehe ihre Bewegungen nicht, hätte Lust, mal Tauben-movement zu verfolgen oder zu studieren.
13:42
Eine junge Frau mit großen, braunen Kulleraugen geht vorbei, sie wirkt so unschuldig, deeply touching, – und dass in diesem Gewimmel hier. Ich glaube, vor einiger Zeit war hier auch ne Prügelei. Die Tauben fliegen über unseren Kopf, ich denke, sie könnten hier auf mich herunter kacken. Ein Teil der Gruppe sitzt auf dem Dach der U-Bahn, als würden sie das Treiben der herumfliegenden und pickenden Tauben beobachten.
13:44
Ich denke an die Uhr, wann es wohl vorbei ist? Ein Mann klatscht in die Hände und scheucht die Meute an der Mauer auf. Die, die auf dem Dach sitzen, lassen sich davon nicht beeindrucken. Eigentlich sind sie ja dauernd in „hab-Acht-Stellung“. Sie müssen aufpassen, dass keiner sie übertrampelt.
13:46
Die Frau neben uns, auf der Bank, füttert sie. Das kleine Mädchen mit den Rattenschwänzen, der gelben Jacke und der roten Hose jagt die Tauben wieder. Was ist wohl der Reiz daran, die Wesen zu stören? Sie machen ja eigentlich nichts, sie greifen Raum, sie nehmen Raum ein und wenn einer kommt, fliegen sie weg.
13:47
Einige Tauben verfolgen sich gegenseitig. Sie haben weiße Schnäbel. Eine ist rot-braun gefiedert, sie gehört vielleicht in eine andere Familie. Ich kann sie nicht unterscheiden. Die meisten haben zwei schwarze Streifen vor ihrer Schwanzflosse, andere sind viel dunkler.
13:48
Hoffentlich fallen sie nicht über uns her. Es werden wieder mehr Kinder und mehr Jagden. Die eine Taube läßt sich von dem Mädchen verfolgen und schwingt sich nicht in die Luft. Warum zeigt sie dem Mädchen einen Weg? Das Mädchen folgt ihr, ich auch, mit den Augen. Schon ganz schön lange bewegen sie sich in einem Abstand von ca. 50 cm, ganz nah beieinander, die Taube vorne weg, das Mädchen zielsicher hinterher. Jetzt fliegt die Taube weg.
13:49
Die weißen Schnäbel, die unterschiedlichen Gefieder, ob das alles unterschiedliche Familien sind? Jetzt setzen sie sich zu uns, also vor uns. Ich erschrecke jedes Mal, wenn die mir zu nah kommen, dabei machen sie gar nichts, dieses Geflattert macht mich kirre.
13:51
Wieder erhebt sich der ganzen Schwarm und gleitet durch die Lüfte. Auf einer Lampenaufhängung finden sich jetzt ganz viele ein, dicht aneinander gedrängt.
13:52
Es ist hier total laut, die Autos, der Verkehr, aber den nehme ich erst jetzt wahr, so abgelenkt von den Menschen, die sich schräg von vorne an uns vorbei bewegen , der Wind, ein kurzer Hauch, ob ihn eine Taube aufgewirbelt hat? Sie schwingen mit den Flügeln.
ANREGUNG / IMPULS:
Wie gehts Dir, wenn Du in einen Taubenschwarm gerätst? Jagst du sie? Fütterst Du sie? Was ist Dein Impuls?
Mein Text ist ein Teil eines Parallelprotokolls. Dieses ist unter der Bezeichnung: A4_736-29102413321353 Taubenschwarm.pdf bei der Kunsthalle Below, AG Minimales Reisen zu bestellen.