Berlin-Protokoll: Friedhof Dahlem Nov. 2023

Unterwegs mit A., sind diese beiden Texte entstanden, als wir auf dem Waldfriedhof Dahlem eingekehrt sind. Inspiriert ist das gemeinsame Schreiben durch die Parallelprotokolle der AG Minimales Reisen von Kunsthalle Below. Jede/r schreibt in einem vordefinierten Zeitfenster über seine/ihre Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen, Assoziationen, mit dem Blick auf ein gemeinsames “Objekt” oder eine Situation.

Hier die Aufzeichnungen von A.

11.45
Einfach machen, ein ungeWöhnlicher Ort hierfür. Aber, warum nicht. Die GeWohnheit, das ist so ein Thema denke ich..
11.46
Der Bagger stört mich etwas… So ist das Leben! Alles zu seiner Zeit, auch wenn ich es nicht passend  finde. 
11.47
Ich genieße die Sonne auf den Steinen vor mir, links schreibt S….
11.48
Es macht wirklich Freude, gemeinsam so einen Ausflug mit so besonderer Aktivität zu machen … 
11.49
Ich merke, ich sitze verspannt und korrigiere mich, und.. Durchatmen…. Wow und die Minuten verfliegen… 
Zeit, wieder so ein Thema… Ich mach kurz Pause,
11.51
… ich gönne es mir. – Eben war eine Männerstimme zu hören, hastig, geschäftig. 
11.52
Ich schau kurz auf, die Sicht auf Wege unter hohen Bäumen… 
11.53
Wir werden etwas gefragt, zum Glück reagiert B., … 
11.54 die Sonne scheint auf die Wege, die Bäume sind als Schatten zu erkennen. 
11.55 Die Wiesenstücken mit ganz hellem Grün und ganz dunklem, schattigen Grün. 
11.56 lch fühle leichten Stress… bin nicht mehr die Schnellste,…
11.57 der Gedanke ans Älterwerden taucht auf. -Bei den Bäumen ist das Alter etwas was anderes, das ist doch auch interessant!
11.58 …das Schreiben mit Stift und Zettel mag ich doch mehr,… auch wieder so eine Gewohnheit, denke ich. 
12.00h… macht der Bagger vielleicht jetzt Pause? Immerhin sind knirschende Schritte zu hören gewesen…
12.01 Jetzt nimmt der Lärm noch mal zu und… plötzlich kein Lärm mehr!.. Es wirkt gerade gar nicht wie Beerdigung
12.02 B. ist aufgestanden, sie spricht mit Jemandem von der Bestattungsfirma… Es riecht aus der Kapelle nach Kerzen und Blüten oder ältlichem Parfüm.

Hier die Aufzeichnungen von B.

Ja, es ist schon etwas her, seit ich mit A. spontan gemeinsam geschrieben habe, wir landeten schlendernd auf dem Waldfriedhof Dahlem. Wir gingen vom Oskar Helene Heim Richtung Krumme Lanke, – so war der Plan. Auf dem Weg dorthin kehrten wir auf dem Waldfriedhof ein, directement steuerten wir auf die Kapelle zu, da stand ein schwarz gekleideter Beerdigungsbestatter vor der Tür, hielt den Finger auf den Mund und bat uns, still zu sein.

Wir setzten uns zügig auf die Bank vor der Kapelle. Kurz drauf wurde ein Sarg mit einem weißen Blumengebinde auf den Transportwagen gehoben und 6 Sargträger drapierten sich drum herum. Gleich folgten dann auch die Trauergäste. Aufgefallen waren mir die rosa-gelben Rosen, die einzelne Gäste trugen und dann verließen die Menschen, links an uns vorbei laufend, die Kapelle und folgten dem Verstorbenen auf seiner letzten Reise. Nachdem alle weg waren, kehrte Ruhe ein und wir beschlossen, gemeinsam unsere Wahrnehmungen, unsere Gedanken und Gefühle zu notieren, jede für sich. Es war ca. 11.45.

Das war alles in der Erinnerung der letzten 10 Min. Der Beerdigungsbestatter zeigte uns freundlich den Weg um die Kapelle herum, zu den Toiletten. Ich fragte ihn nach der neuen Bestattungsmethode, wo der Körper auf Stroh gebettet wird, in einem eigens dafür vorgesehenen Behälter, so dass dann nach 40 Tagen Humus Erde entstehen würde. Der Experte war nicht überzeugt davon. Man suche nach neuen Methoden, die für die Menschen scheinbar freundlicher zu sein scheinen. In Berlin müsse man 3000 solcher Gefäße haben, die jeweils ca. 5000 € kosten würden.

Ich bin fasziniert davon und biete meinen Körper als Modell an. Er meinte, die ganze Sache sei noch nicht zu Ende gedacht, man erprobe das gerade in Schleswig Holstein.

Wir sitzen zu zweit gemütlich auf der Bank vor der Kapelle, mit Blick auf die riesenhohen Bäume, Fichten und Kiefern. Links von uns summt ein Bagger, ganz dezent, ob er vielleicht ein neues Grab ausschaufelt? Es muss 2,15 tief gebaggert werden, erzählte uns der Fachmann.

Ein junger Mann, auch in schwarz gekleidet, mit langen Haaren zu einem Zopf zusammen gebunden, sammelt etwas ein, ich konnte es nicht genau sehen, vielleicht eine Spendenbox. Ein anderer mittelalterlicher, langhaariger Mann nahm das Bild des Verstorbenen unter den Arm, die beiden verabschiedeten sich von dem Beerdigungsbestatter, es wirkte ruhig, gemächlich, angenehm.

11:52 Eine schwarz-grau gekleidete Frau mit weißen Haaren ging wortlos, mit gesenktem Kopf vorbei. Vor uns steht eine Art Bolllerwagen, wieder kommt eine Frau vorbei, fragt uns, ob wir zu Familie N’meister gehören? Nein! – dann verschwand sie.

11:53 Immer mal kommt der Duft von Weihrauch aus der Kapelle, ein ganz spezieller typischer Duft, vielleicht ist es auch etwas anderes, sehr laut, der Geruch, in Schwaden. Wieder kommen zwei fein in schwarz gekleidete Frauen vorbei, ehe sie dann der Kapelle den Rücken zudrehen.

11:55 Der Bollerwagen hat einen großen Aufsatz, wenn er im Dorf stehen würde, würde ich denken, für Schweinetransport. Ich frage mich, wofür der wohl ist? Ein Müllbehälter? Er ist sarggroß. Später erst entdeckte ich, dass das der Befestigung der ausgebaggerten Grabstätte dient, damit die Grube nicht zusammenbricht.

11:56 Ein anderer Kollege vom Bestattungsinstitut schließt die Kapellentür.

Umgeben von den Sonnenstrahlen, die Schatten auf die Riesenbäume werfen, sitzen wir und schauen uns um, erleben das Ende einer Beerdigung. Geradeaus, in der Ferne, fährt ein gelber BVG Bus vorbei.

11:58 Der kleine Bagger schaufelt unermüdlich, ich sehe, wie er eine Box, die, die auf dem Bollerwagen steht, hoch zieht und damit rangiert, ein Kollege hilft ihm, kann ich aus dem Augenwinkel sehen.

12:00  Bin froh, mit A. hier zu sitzen, dann verlasse ich die Bank und gehe mit den beiden Männern in die Kapelle. Einer erzählte mir, dass es da einen Wagen für die Blumen gäbe und die Kränze, normalerweise würde man denken, es handele sich um eine mobile Garderobe. Sie räumen alles von draußen rein und beenden ihren Einsatz. Der eine, jüngere Kollege erzählte uns dann, dass er beim Friedhofsamt arbeite, er sei gar nicht bei dem Bestattungsinstitut, von Haus aus sei er Gärtner, er sah seriös aus und er war die Schnittstelle zwischen den Bestattungsinstituten und dem Friedhof. Heute hätten sie schon 4 Beerdigungen gehabt. Wir sprachen über die Trauergebahren der Menschen, ob die sich verändert hätten. Der junge Mann in seinem schwarzen Anzug erzählte von den unterschiedlichen Todesursachen, ob lange vorher bekannt oder aus dem Leben gerissen. Ich sagte ihm, der Körper verlasse mich, ich bin aber immer da. Er überlegte einen Moment und bestätigte mich.

Es ist immer dieser EINE Atemzug, der das Leben einzigartig sein läßt und die “Anfasswelt” von der “Nicht-Anfasswelt” trennt.

Anregung / Idee:

Ein Hof für Frieden, in Frieden sein. In Berlin gibt es viele schöne Friedhöfe. Schau Dich mal um, das ist immer einen Besuch wert.
Suchst Du manchmal die Stille auf Friedhöfen, zum Meditieren, zum Inne-Halten, oder ist dir dieser Ort “spooky” und du magst dich gar nicht mit der anderen Seite des Lebens beschäftigen?
Ich freue mich auf Deinen Kommentar.

Ein Kommentar

  1. Ja, ich gehe sehr oft auf den Frieddhof und lasse immer die Tür offen stehen, aber immer ist sie wieder verschlossen, wenn ich das nächste Mal komme. Komisch. Mit deinen Beobachtungen hauchst du dem Friedhof Leben ein: Auch hier findet Leben statt – ganz “normales” Leben. Hier wird gearbeitet, hier wird geweint und gelacht, hier wird innegehalten, hier ist es laut und leise. Und dann wird wieder die Tür zugemacht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert