Berlin-Protokoll: Radrennbahn, Velodrom

Vorbemerkung
Seit der Erfindung der Parallelprotokolle AG Minimales Reisen von Kunsthalle Below schreibe ich immer mal wieder – „en passant“ – meine Gedanken, Wahrnehmungen, Assoziationen, Gefühle in einem vordefinierten 20-minütigen Zeitraster und Ort chronologisch auf. Zeit und Raum sind fix, alles andere ist frei. Es schreiben manchmal zwei, manchmal drei und manchmal auch zehn Menschen an einem Ort zu einer bestimmten Zeit, alles ist erlaubt. Anschließend werden die Texte chronologisch sortiert gelesen. Dadurch entsteht etwas Neues, das für manche mitunter befremdlich anmutet, es ist aber nichts anderes, als die Aneinanderreihung von Beobachtungen, Gedanken, Gefühlen, … unterschiedlicher Menschen. Für mich ist es immer wieder eine Überraschung, wie anders andere wahrnehmen und doch tauchen in fast allen Protokollen die gleichen Ereignisse auf, nur in anderen Zusammenhängen. Ich liebe dieses Format sehr, weil es eine wunderbare Möglichkeit ist, mich auszudrücken und damit zu einem großen Ganzen beizutragen. Ich erfahre mich selbst und andere. Diese Bezogenheit ist das, was ich mir so sehr für die Welt und in der Welt wünsche. wir sind alle verbunden und doch ist jeder anders. Es geht weniger um Unabhängigkeit als vielmehr um Verbundenheit: Interconnectedness statt Independence (Quelle: Eliasweb.org)

Nachfolgend ist mein Part des gemeinsam mit zwei weiteren Mitschreibenden geschriebenen Parallelprotokoll Bahn-Radrennen, das voraussichtlich Ende 2023 in „Parallelprotokoll Edition Sport 2023“ von AG Minimales Reise herausgegeben wird. (Alle bisherigen Herausgaben hier: http://minimalesreisen.de/pp-editionen/ )

15022023_Radrennen

18:48
Auf der Anzeige steht 30. Dann fahren sie wohl 30 Runden, ganz schön viel. Es ist ruhig geworden und fast windstill, nachdem das erste Rennen beendet war. Eine neue Runde steht an, die bunten Radrennfahrer, alle männlich, verteilen sich auf ca. 100 m Abstand in einer Reihe hintereinander. Es gibt eine Ansage von dem Moderator, die ich aus dem Lautsprecher nicht gut verstehen kann, irgendwas mit 0-2-4-6-8 sollen was machen …. Und dann gehts auch schon los mit dem Rennen.

18:50
Ich verstehe nichts, nehme nur wahr, Eindrücke auf. Total faszinierend, die Leute auf der Rennbahn und auch die Leute im Innenraum, die trainieren noch, vielleicht. Es gongt laut, das Rennen beginnt. Die Halle ist taghell erleuchtet, eine imposante Deckenkonstruktion. Ob über uns vielleicht schon die Schwimmhalle steht?
10 Fahrer auf einer wellenförmig angelegten Bahn. Nochmal ein Gong, die Geschwindigkeit der Fahrer vervielfacht sich, sie rasen, der Fahrtwind kommt zu uns herüber und es gibt laute Fahrgeräusche. Aus der Masse der Radrennfahrer sticht allmählich einer als Erster hervor. Ich weiß nicht, wer hier warum gewinnt.

18:54
Was machen die hier eigentlich nur? In der Mitte scheinen Trainer ihren Schützlingen auf den Weg zu bringen. Da wird geübt.

18:55
Runde 8 – und schwups, schon sind es nur noch 7 Runden. Das geht so schnell, so schnell kann ich gar nicht gucken, wie die Rennräder hier die Runden drehen. Es könnten wohl 400m Bahnen sein, die kenne ich noch aus der Leichtathletik, wo ich auch schon nicht gerne gelaufen bin. Heute fragte mich A., wie ich mich als Kind gerne bewegt habe, ob schwimmen, Fahrradfahren, laufen … meine Antwort war: NIX. Runde 3 – ich atme zwischenzeitlich mal kurz durch. Dann Runde 2, alles so schnell. Ob die Radler wohl bemerken, dass sie auch atmen – oder ob sie all ihre Konzentration nur darauf richten, schnell ins Ziel zu kommen. Jetzt kommt 113 ins Ziel.

18:58
Ich kann gar nicht so schnell schreiben, wie ich gucken muss. Rund herum, alle Richtungen. Und wieder stehen die Radrennfahrer am Start. 20 Runden Temporennen – höre ich aus dem Augenwinkel, äh, Ohrenwinkel, über die Lautsprecher.

18:59
Nur Jungens und junge Männer dort. Welch schöne Formationen sie bilden auf der Radrennbahn! Die werden es wahrscheinlich selber gar nicht wahrnehmen können, sind sie ja Teil des Ganzen!

Kommt ein Betreuer vorbei, er nimmt uns zur Kenntnis, scheinbar der Einzige. Er sagt: Da denk ich, Ihr schreibt die Punkte mit, … mehr war nicht möglich. Ich bin froh, dass ich die Runden im Display sehen kann. 17 – dann ein Gong und ab jetzt, los. Runde 15 – für 140 1 Punkt. Welche Punkte? Wofür? Ich bin fasziniert von den bunten Bildern, die die Radfahrer formieren.

19:02
Alle sind hochkonzentriert, kaum jemand stört sich an unserem Schreiben. Einige Jungens in der Mitte, in der Vor- oder Nachbereitung, schauen, schreiben auf, alles in ihrem Handy. Es scheinen Radler aus verschiedenen Vereinen zu sein, sie tragen unterschiedliche Trikots. Sie sehen blendend aus, wohltrainiert, so jung, so potent, so fokussiert. Ich würde gerne wissen, was ihre Motivation war, sich für diesen Sport zu interessieren? Und was sie an dem Wettkampf so fasziniert?

19:04
Ob der, der oben fährt, also ganz außen, wohl überholt? Warum fährt einer oben außen und andere unten innen? Ich verstehe nichts. Und wieder ertönt der Gong und leitet die Schlussrunde ein.

19:06
Die Trainer und Betreuer im Innenraum, älter als die jungen Fahrer, vielleicht ein wenig väterlich, sie tragen Jacken mit Werbung für Stevens Räder. Wie sehr ich mein tolles Stevens Rad noch immer vermisse, das ich damals, zu den Anfängen in Berlin, auf der Rolltreppe am Zoo verunfallt habe! So, wie jetzt auch mein macbook. Für Gedanken und Erinnerungen hat es hier keine Zeit, so geschwind ertönen die Gongs. Jetzt eine Ansage für Peter S vom 1. Zugvogel, ich sehe ihn mit den Juroren gegenüber stehen. Um was es wohl geht?

19:07
So viele Bilder und ich erlebe es als wohltuend, einfach nichts zu wissen, nur schauen, staunen und zu erleben. Ein Feuerwerk von Farben, Geschwindigkeit und Rausch.

Anregung / Idee

Bist Du schon mal mit dem Rad durch die Stadt gefahren? Wie fühlt es sich an, die Stadt zu Fuß oder radelnd zu erkunden? Finde schöne Radwege, auf denen Du dich sicher fühlst. Schau Dir mal die Radrennbahn, das Velodrom an und pack Dir Badezeug ein, dann kannst Du gleich nebenan in das Schwimmzentrum gehen. Sehr empfehlenswert!

An dem offenen Format nehmen anonyme Schreiber:innen mit und ohne künstlerische Hintergründe teil. Die AG Minimales Reisen lädt jede:n zur Teilnahme ein und dankt allen Mitschreibenden und der kunsthallebelow.de
Hier bestellen: https://minimalesreisen.de/pp-editionen/

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