Der nachfolgende Text ist mein Part des Parallelprotokolls*, das ich im Rahmen der AG minimales Reisen, Kunsthalle Below, mitgeschrieben habe, mehr Informationen dazu unten auf der Seite.
14.17 Auf gehts! Die Sonne scheint mitten ins Gesicht. Wo ist meine Sonnenbrille? Warum habe ich sie nicht eingepackt? Denke, hätte ja mal ein Selfie im Schnee machen können! – mit Sonnenbrille ist das immer etwas netter.
14.18 Ein lauter Seufzer, Ausatem, verläßt mich, tut so gut, so laut auszuatmen. Das mache ich sogar mittlerweile auch, wenn ich in den U-Bahnschächten unterwegs bin und mir wieder Luft verschaffen möchte. Manche Leute sind erschreckt, wenn sie mich so seufzen hören, damit bahne ich mir meinen Weg durch die Massen. Wenn das alle mal machen würden, gäbe es nicht so viel Druck in der Welt, einfach mal Luft ablassen.
14.20 Ich höre in der Nähe die Stimmen zweier Frauen, drehe mich zu ihnen um, sie sind ohne Kinder. Kinder juchzen, freuen sich an dem Schnee auf der großen Wiese. Hinter uns ein Lachen – eine Mädchenstimme. Ein anderes Kind hustet.
14.21 Die Sonne im Gesicht ist schön. Der Wind ist frisch am Kopf und von hinten, oder von der Seite. Meine rechte Schulter ist zusammen gezogen und tut weh. Die beiden Frauen schlendern jetzt von rechts nach links vor uns vorbei, gegenüber ein Paar, händchenhaltend in die andere Richtung laufend.
14.23 Das hustende Kind sorgt mich etwas. Und wieder atmet es in mir und ich verschaffe mir innerlich Luft. Ein Vater mit orangener Mütze und einem Kind auf der Schulter kommt uns entgegen, ein anderes, etwas älteres Kind stapft nebenher durch den Schnee, beide Kinder tragen Schneeanzüge. Der Mann setzt das Kind ab. Ach, und dann kommt da auch Mama mit einem Fahrradanhänger für die Kinder, hinterher, quält sich durch den Schnee und den unebenen Boden. Ich höre den Mann aus dem Augenwinkel sagen … die sitzen da und schreiben. Es sind eigentlich immer die Kinder, die uns wahr nehmen und fragen, – egal wie und wo wir sitzen.
14.25 Die Sonne ist so warm, trotz der gefühlten Kälte, der Schnee glitzert zwischen den Fuß-, Hasen- und Fahrradspuren, erinnern mich an Schlitten, aber das denke ich eher nicht. Ich mag den Winter, die klirrende Kälte, ziehe mich gerne dick und warm an. Heute sind es ganz schön viel Klamottenlagen geworden, aber tut gut.
14.27 Hinter uns höre ich leise Gesprächsfetzen, noch nicht mal deren Inhalt kann ich verstehen, ist auch nicht wichtig. Schön ist nur das Leben um uns herum. Die Sonne im Gesicht erinnert mich an Skilaufen in den Bergen. Ich und Skilaufen ist wie … fällt mir grad kein passendes Bild dazu ein, aber … geht gar nicht. Ich fahre lieber Fahrrad. Ohne Schreiben mit S. würde ich jetzt hier nicht sitzen. Sie hat sanft gedrängelt, freundlich eingeladen, die Sonne im Park zu genießen und ein Kapitel zu Wetter, Winterzauber, zu schreiben. Das war genug Motivation und hatte Zugkraft.
14.29 Innerlich schaue ich auf die Uhr, errechne die Zeit, seit der wir schon geschrieben haben bis wann es wohl fertig sein wird. Es sind noch 12 Minuten, erscheint mir lange, heute, hier im Kalten. Vielleicht auch, weil so gar nichts hier um uns herum ist, außer kalt, weit, Natur und einige, wenige Menschen. Es ist überraschend leer, so still, da kann ich gut meinen Gedanken nachgehen. Die Objekte sind nicht so laut, sogar Gedanken werden zu Objekten.
14.32 Das Juchzen der Kinder, das ich höre ist schön, ebenso wie dieser ganze helle, weite Raum, mitten in der pulsierenden Stadt. Hinter uns spaziert ein Paar, der Mann mit Handy am Ohr. Das leise Treten im Schnee kommt bis zu uns. Der Wind weht sanft die Seite in meinem Heft um. Dann kommt er sicherlich auch von da, rechts vorne. Ich weiß nie, woher der Wind weht, zum Segeln ist das existentiell wichtig, wenn ich mich allerdings direkt im Wind bewege, dann weiß ich es intuitiv doch.
14.34 Vor uns, in der nahen Ferne, steht eine große Häuserwand, davor große Bäume. Jetzt tatütata, da funkelt Blaulicht. Ein Krankenwagen oder Rettungswagen schleicht sich langsam durch die enge Torbogenausfahrt, vielleicht ist es ja ein Krankenhaus, da vor uns?
14.35 Ich denke an Chris und Timi, zwei tolle junge Männer, die wohnen hier dicht bei, aber sie sind so busy, dass sie mich nicht empfangen, vielleicht abends oder zu Unzeiten, wo es nicht mit meinem Schlenderrhythmus übereinstimmt. Die Sonne verliert etwas an Kraft, als würde ich schon langsam im Schatten sitzen.
14.36 Vor einigen Tagen bin ich mit H. auf dem Friedhof, links der Wiese, spazieren gewesen, ein Weg, der auf die U-Bahn führt. Die kahlen Bäume sind zart mit Schnee überzogen, bemehlt – sehen sie aus. Die Baumkronen sind alle ungefähr auf einer Höhe, der eine oder andere ist mal etwas höher, aber relativ homogen, kein „kleines Gemüse“ dazwischen. Den Rest sage ich nicht. Am Rande laufen einige Leute, sehr überschaubar, ich höre die Vögel, die immer auch mit sprechen und die Hundetüten, die überall auf der Wiese verteilt herum liegen, wenn keine Mülleimer bereit stehen. Fertig.
30.11.2023
Idee / Anregung:
Magst Du den Winter in der Stadt? Was verzaubert Dich? Ich freue mich, wenn Du Dein Winterzauber-Erleben in den Kommentaren teilst, egal, ob Stadt oder Land. Kannst Du die Weite in der Kälte spüren ?
* Text von minimalesreisen.de
Dieses Protokoll entstand im Rahmen einer Recherche der Arbeitsgemeinschaft Minimales Reisen. Mehrere Mitschreibende haben jeweils an einem ausgewählten Ort des alltäglichen Lebens zwanzig Minuten lang das umliegende Geschehen protokolliert – und das, was ihnen dabei durch den Kopf ging. Im Anschluss an die Schreibphase werden die einzelnen Protokolle minutenweise ineinander gefügt, so dass chronologisch durchgehende, mehrstimmige Texte entstanden. Diese werden dann sortiert, verlesen, übersetzt und gedruckt. An dem offenen Format nehmen anonyme Schreiber:innen mit und ohne künstlerische Hintergründe teil. Die AG Minimales Reisen lädt jede:n zur Teilnahme ein und dankt allen Mitschreibenden und der kunsthallebelow.de. Die zusammen gefügten Editionen sind bei der kunsthallebelow.de käuflich zu erwerben.